Schlag auf Schlag

 

Diese Worte beschreiben meine derzeitige Situation wohl am treffendsten, denn nach langem Warten und Hoffen, dass die Zeit bis zu meiner Abreise nicht zu langsam vergeht, folgte nun ein Event aufs andere. Eine wunderbare Abschiedsfeier stand auf dem Programm, der für mich letzte Schultag in Deutschland sowie das lang ersehnte Kofferpacken, die Reise nach Berlin, von wo aus viele andere Austauschschüler und ich nach London aufbrachen, die Einführungstage in London sowie das größte Ereignis von allen – die Ankunft bei meiner Gastfamilie.

 

 

Doch bevor ich nun weit und pathetisch aushole, möchte ich noch kurz eine andere Sache erwähnen, denn seit drei Wochen schon wohnt bei meinen Eltern in Deutschland (und bis vor kurzem eben auch bei mir) unsere Austauschschülerin Francesca aus Italien! Über meine Austauschorganisation wurde meine Mutter angesprochen, ob meine Eltern sich nicht vorstellen könnten, während meiner Abwesenheit jemand anderen eine tolle Auslandserfahrung zu ermöglichen und da meine Mutter schon immer gerne Neues ausprobiert, kamen wir letztlich doch ganz schnell zu einer neuen Mitbewohnerin. Auch wenn ich mich schon nach zweieinhalb Wochen aus dem Staub gemacht habe, fand ich die Zeit mit ihr sehr interessant und habe nun sozusagen auch einmal die andere Seite des Schüleraustauschs, nämlich die der Gastfamilie, kennengelernt. Vielleicht macht das für mich bei meiner Gastfamilie in England das ein oder andere leichter (von wegen: Ich kann mir ungefähr vorstellen, wie es euch geht).

Dann fange ich mal mit Numero eins auf meiner To-Do-Liste an – die Abschiedsfeier. Am Sonntag den 25.08.2019 tummelten sich nämlich bei uns im Garten insgesamt 16 Familienmitglieder bzw. Freunde von mir, die ich gerne noch einmal vor meiner Abreise sehen wollte. Das Spektrum reichte dabei vom kleinen Cousin, der an diesem Tag stolze drei Jahre alt wurde, bis zur 89-jährigen, für ihr Alter turnschuhfitten Oma. Insgesamt fand ich dieses Treffen spitzenmäßig, denn es gab ein leckeres Mittagessen plus Eistorte und alle schienen gut miteinander ausgekommen zu sein. Gleichzeitig war dieses Abschiedstreffen der 1. Punkt, an dem mir so langsam bewusst wurde, dass ich mich tatsächlich bald davon machen werde … Davor schien mein Auslandsjahr noch so fern zu sein.

Außerdem möchte allen hiermit noch einmal für ihr Kommen und die lieben Wünsche danken (das richtet sich natürlich auch an alle, die sich schon zuvor von mir verabschiedet haben). :) 

 

 

 [Soweit ich mich erinnern kann beinhaltete diese Eistorte neben vielen Kalorien vor allem Wassermelonen-, Schokoladen-, Erdbeereis und Früchte … Da soll jemand bei dem ganzen Obst noch behaupten wollen, dass Eistorten nicht gesundheitsfördernd sind! ;) ]

 

An meinem letzten Schultag in Deutschland habe ich zwei Dinge gelernt: Erstens, dass es wirklich abstrakt (im Sinne von unreal) ist, sich von seiner Freundin für die nächsten ZEHN Monate zu verabschieden und zu wissen, dass man sie in dieser Zeit nicht mehr persönlich treffen wird (Punkt 2 auf der Liste der Dinge, die mir so langsam bewusst machten, dass es bald ernst wird). Und zweitens, dass der Uhrzeiger während des allerletzten Unterrichtsblocks noch nie so langsam übers Ziffernblatt gewandert ist. Doch selbst die allerletzte Unterrichtsstunde näherte sich irgendwann dem Ende und als ich danach endgültig durch das Schultor hinausging, kam mir es schon etwas seltsam vor, morgen nicht mehr hierher zurückzukommen (Punkt 3). Ich meine ja nur, die etwas mehr als sechs Jahre, die man sozusagen „hauptberuflich“ als Schüler in diesem Gebäude verbracht hatte, gingen doch nicht ganz spurlos an einem vorüber.

Zu Hause machte ich mich dann ans Kofferpacken. Abends kamen uns noch mein Bruder und meine Oma besuchen, von denen ich mich mit einem etwas mulmigen Gefühl verabschiedete (Punkt 4). Anschließend wuselte ich noch bis nach Mitternacht im Haus herum, sodass ich erst sehr spät ins Bett ging … Doch trotzdem war ich am nächsten Tag so aufgeregt, dass ich relativ schnell aus den Federn kam. Nachdem ich  auch von Francesca  ein „Du schaffst das, viel Spaß und bis bald!“ bekommen habe, fuhren meine Mutter und ich mit dem Bus also nach Berlin, wo wir die Kuppel und die Dachterrasse des Reichtages besichtigten und einen kleinen Spaziergang durch die nähere Umgebung machten.

 

 

Später kam uns in unserem Hotel noch mein Vater besuchen, weil er zurzeit in Berlin auf einer Dienstreise war. Besonders spektakulär im Sinne von tränenreich war der Abend nicht gewesen, doch es war echt komisch, als meine Mutter und ich unten in der Einfahrt standen und meinem Vater dabei zusahen, wie er mit seinem Auto davonfuhr (Punkt 5). In diesem Moment wusste ich nicht so ganz, ob ich dieses Bild gut oder traurig finden sollte, denn einerseits wusste ich, dass der Abschied von seinen Eltern zu einem Auslandsjahr dazugehörte, andererseits kann sich wohl jeder vorstellen, dass die Vorstellung, seine Eltern so lange nicht mehr persönlich zu sehen, mitunter echt blöd ist. Doch da muss man wohl durch, ob man das nun gern hat oder nicht.

Den Tag darauf hieß es dann um 4 Uhr (!) aufstehen, um zum Flughafen zu fahren und leichte Panik schieben, dass ich irgendein wichtiges Dokument vergessen habe oder etwas anderes mich am Fliegen hindert (was letztendlich doch nicht der Fall gewesen war). Schließlich kam dann der Moment of „no return“ sozusagen, als ich vor der Sicherheitskontrolle stand, von wo aus ich alleine weitermusste. Bisher waren alle meine Abschiede nicht sehr stark emotional gewesen, doch ich kann mir gut vorstelle, dass meine Mutter die schwierigste Aufgabe von allen hatte, weil sie die wirklich allerletzte von meiner Familie war, die mir Aufwiedersehen sagte (Punkt 5). Ja Mama, vielleicht hast du ein wenig fertig ausgesehen, als ich in den Bereich mit der Handgepäckkontrolle abgehauen bin, aber ich fand es super, dass du nicht in Tränen ausgebrochen bist, denn sonst hätte ich vielleicht auch heulen müssen und dann hätte man die Leute auf dem Flughafen Tegel wegen spontaner Überschwemmung evakuieren müssen. Also, mein Lob an dich. ;)

 

Die nächsten drei Tage in London (29.08.-01.09.) waren sehr schön gewesen und dienten eher zum Sightseeing anstatt zur Eingewöhnung in die englische Kultur, weswegen mir die Zeit wie ein Kurzurlaub vorkam. Tatsächlich war ich zum dritten Mal in dieser Stadt, doch sie ist immer wieder aufs Neue interessant. London ist so dynamisch und vielfältig, das man oft gar nicht weiß, wohin man zuerst schauen soll und am Ende des Tages von den vielen Impressionen ganz platt ist. Außerdem habe ich einige andere sympathische Austauschschüler*innen kennengelernt, von denen manche genau wie ich in der Grafschaft Kent im Südosten von England untergebracht sind.

 

Am Sonntag, den 01.09., haben wir mit unserer Gruppe vormittags noch einen kurzen Abstecher zum Buckingham Palace gemacht, um den Beginn der Wachablösung zu sehen, allerdings glaube ich, dass fast jeder in Gedanken schon ganz woanders war. Zumindest ging es mir so, denn je näher die Abreise zu meiner Gastfamilie erfolgte, desto nervöser wurde ich. Als ich fünf andere Mädchen und ich schließlich von unseren Betreuerinnen gegen 13 Uhr in ein Taxi nach Tankerton gesetzt wurden, wo unsere Gastfamilien uns abholen sollten, war es mir, als ob ich im „falschen“ Film säße (Punkt 6), denn es kam mir absolut surreal vor, dass ich NICHT nach Deutschland zurückkehren, sondern in England bleiben würde. Übrigens wurde zwischendurch ein Mädchen aus unserem Taxi bei ihrer Gastfamilie abgesetzt und wir fünf Verbliebenen im Auto beobachteten ganz gespannt, wie sie an der Tür klingelte und auf einmal ihre Gasteltern ihr öffneten. Ich will ja nicht meinen, dass wir wie hysterisch quiekten, aber ein Ansatz davon war schon vorhanden. ;)

Als wir weiterfuhren, fragte ich unseren Fahrer, wie lange wir noch bis nach Tankerton brauchen würden und als er so etwas meinte wie „Na ja, eigentlich sind wir in fünf Minuten da“, brach in unserem Taxi ein KLITZEKLEINES bisschen Panik aus, was uns dazu veranlasste, einen „meditativen Beruhigungskreis“ zu bilden. Dieser bestand darin, dass wir uns alle an den Händen fassten und versuchten (ich betone VERSUCHTEN) tief ein und aus zu atmen. Als wir schließlich auf einen Parkplatz fuhren, ausstiegen und ich unsere lokale Betreuerin Eve und die ersten Gasteltern sah, wurde mir auf einmal ziemlich mulmig zumute. Ich war so aufgeregt und nervös, dass sich mein Sichtfeld ziemlich einschränkte und das Bild vor meinen Augen verschwamm, sodass ich mich setzen musste. Aber keine Sorge, unsere Betreuerin Eve und die anderen Mädchen haben sich wirklich rührend um mich gekümmert. Ich glaube, dass ich einfach vor Aufregung zu wenig gegessen, getrunken und die Tage zuvor zu wenig geschlafen habe und würde ich dir deswegen, falls du ein Auslandsjahr machen möchtest, sehr ans Herz legen, trotz der vielen Aufregung diese drei Dinge auf keinen Fall zu kurz kommen zu lassen. Irgendwann kam dann ein Auto um die Ecke gefahren und als ein Mann ausstieg, den ich für Peter hielt, war mir noch einmal kurz etwas ungut zumute, aber als sich herausstellte, dass es sich tatsächlich um meinen Gastvater handelte, verabschiedete ich mich von Eve und den Mädchen aus dem Taxi und fuhr mit Peter los. Wow, das war ein unwirkliches Erlebnis gewesen und das nicht nur, weil das Lenkrad auf der anderen Seite angebracht war. Irgendwie waren wir imstande, eine Konversation auf Englisch zu führen und als wir schließlich in die Einfahrt zu einem Familienhaus einbogen, dachte ich so bei mir „Hui, hier wirst du also die nächste Zeit lang wohnen!“. Ich lernte gleich noch meine Gastmutter Laura, ihre Tochter Rosalie/Rosie sowie ihre drei Hunde und ihre beiden Ratten kennen, war aber erst einmal so k.o., dass ich nur kurz etwas aß und danach auf meinem Bett in meinem (neuen) Zimmer einschlief. Als ich gegen 18 Uhr wieder aufwachte, war Rosies Bruder Morgan gekommen und im Garten entdeckte ich vier Frettchen. Doch weil der liebe Gott eine gute Frau ist, war sie der Meinung, dass vier neue Menschen an einem Tag nicht genug sind, sodass ich noch Bekanntschaft mit Rosies Freundin Lucy und Morgans Freundin Molly machte (hooray, ich habe mir die Namen gemerkt!). Insgesamt sind alle sehr freundlich zu mir gewesen.

 

Okay, das war ein echt langer Eintrag geworden, obwohl ich mich meiner Meinung nach schon sehr kurz gehalten habe. Vielleicht wären ja sogar doppelt so viele Wörter noch nicht genug gewesen . ;) Dann setze ich hiermit erst einmal einen Schlussstrich unter diesen Artikel und lasse allen, die es interessiert wissen, dass es mir gut geht. Hoffentlich habt ihr auch eine schöne Zeit.

Bis bald, Sandra